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Ruanda-Memory

Wie kann man einen Völkermord wie den in Ruanda auf eine Theaterbühne bringen? Wie soll man die unvorstellbaren Grausamkeiten, die dort passierten, darstellen?

1994 töteten Angehörige der Hutu-Mehrheit in nur wenigen Wochen fast 75 Prozent der in Ruanda lebenden Tutsi-Minderheit. Die Theatergruppe Cie.Freaks und Fremde bringt in ihrem Stück „Ruanda-Memory“ neun Objekte auf die Bühne, die die Geschichte des Landes, die Monate vor dem grausamen Genozid und das Leben danach beleuchten sollen.

In den Ausweisen zum Beispiel, die die Belgier 1934 in Ruanda einführten, musste jeder angeben, zu welcher Volksgruppe er zählte – zu den Hutu oder den Tutsi. Bis dahin war die ruandische Gesellschaft durchlässig. Man konnte, etwa durch Heirat, Hutu oder Tutsi werden. Durch die Ausweise wurde die Zugehörigkeit zu einer der Gruppen manifestiert.

Oder das Primus-Bier. Ursprünglich gab es in jedem Haushalt in Ruanda einen Kanister des Bieres, das aus Bananen hergestellt wird. Es war ein Zeichen der Gastfreundschaft. Bot man jemanden Primus-Bier an, hieß das: Ich fühle mich wohl in deiner Gesellschaft. Während des Genozids tranken es die Hutu nach verrichteter „Arbeit“, nachdem sie ihre Nachbarn – Kinder, Frauen und Männer – mit Macheten abgeschlachtet hatten.

 

Friedhof in Karpacz

Friedhof in Karpacz

Das alles wird nicht unmittelbar auf der Bühne gezeigt. Die jeweiligen Objekte stehen im Zentrum des Bühnenbildes. Die zwei Schauspieler, Heiki Ikkola und Sabine Köhler, erzählen die Geschichte dieser Objekte sachlich und weitgehend frei von Emotionen. In Verbindung mit dem meist zurückhaltenden Spiel bleibt der Rest der Vorstellungskraft der Zuschauer überlassen. Ein Ansatz, der äußerst wirkungsvoll ist. Man erfährt nicht nur eine Menge über die ruandische Geschichte, sondern kann das Entsetzen über den Völkermord und die furchtbaren Taten nachempfinden – unbeeinflusst von Wertungen oder Gefühlen anderer.

Das Stück wirft aber auch Fragen auf. Völkermorde hat es in der Menschheitsgeschichte immer wieder gegeben. Ist Völkermord, das Abschlachten von Minderheiten oder vermeintlich minderwertiger Menschen, vielleicht „menschlich“? Wie kann so etwas immer wieder geschehen? Gibt es Parameter, anhand derer man einen Genozid voraussehen oder gar verhindern kann? Könnte ein Völkermord auch in unserer Gesellschaft, in unserem Land, wieder passieren?

Es war gut, dass es deshalb die Möglichkeit gab, mit den beiden Schauspielern und dem Musiker Tobias Herzz Hallbauer, der die Musik schrieb und live spielte, nach der Aufführung zu sprechen. Dabei bekamen die Zuschauer nicht nur Antworten auf offen gebliebene Fragen, sondern konnten ihre Gefühle und Gedanken unmittelbar loswerden und miteinander teilen.

Es ist kein leichtes Stück und keines, das man zur Unterhaltung anschaut. Es geht einem unter die Haut, denn es beleuchtet einen grausamen Teil der ruandischen Geschichte. Und es weckt Mitgefühl mit Menschen und einem Land, das den meisten von uns wohl weitgehend unbekannt ist.

Schaubude Berlin
Vorstellung vom 27.3.2015

Auch veröffentlicht auf www.livekritik.de.

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