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Dorfleben erleben – ein polnischer Hof wird zum Begegnungszentrum

Verlassen. Das ist das Wort, das einem zuerst einfällt, wenn man vor dem Gehöft in Osiek Łużycki (Wendisch Ossig) steht. Drei Gebäude, die ein U formen, liegen inmitten alter Obstwiesen. Der Putz bröckelt von den Mauern, es gibt kaum noch heile Fenster und durch die Dächer dringt an undichten Stellen Wasser und Schnee ungeschützt ins Innere. In den ehemaligen Wohnräumen schält sich alte Mustertapete von den Wänden und gibt alte Zeitungsausschnitte mit Todesanzeigen aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs frei. Abreißen ist vermutlich das zweite Wort, was den meisten in den Sinn käme bei der Frage, was man mit den alten Gebäuden machen sollte. Den meisten, aber nicht Robert Gruszecki. Wo andere Ruinen sehen, entsteht vor seinem Auge ein polnisch-deutsch-tschechisches Begegnungszentrum. Ein Zemtrum, in dem Kinder aus dem Dreiländereck etwas über das frühere Dorfleben und Ökologie erfahren oder in fast vergessene Berufe wie Schmied, Gerber oder Schreiner hineinschnuppern können. In der Scheune sollen Konzerte, Seminare und Dorfveranstaltungen stattfinden, auch eine Küche und Übernachtungsmöglichkeiten sind geplant. Nach Abschluss der Sanierungs- und Renovierungsarbeiten soll der Hof außerdem zu 100% energieautark sein.

Vor dem zweiten Weltkrieg hieß Osiek Łużycki Wendisch Ossig. Die Postkarten zeichnen ein Bild der Ortschaft, wie sie damals aussah. Den Turm der markanten Kirche in der Mitte kann man vom Gehöft aus sehen. (Fotos: privat)

Wenn Robert Gruszecki mit leuchtenden Augen von seinen Plänen erzählt, erscheinen sie greifbar. Natürlich weiß er, dass bis dahin noch ein langer Weg vor ihm liegt. Die letzte Besitzerin des Gehöfts verstarb vor einigen Jahren, Erben gab es keine. Deshalb fiel der Hof an die Gemeinde Zgorzelec und wurde nicht mehr bewirtschaftet, bis ihn Robert Gruszecki 2019 für die Stiftung Fundacja Kuźnia (http://kulturnet.pl/) erwarb. Doch wie wollen er und die Stiftung die Sanierung des Hofes finanzieren?

Auch dafür hat Robert Gruszecki bereits konkrete Vorstellungen. Die Finanzierung der Sanierungsarbeiten soll zum einen aus den Mitteln der Stiftung erfolgen, zum anderen möchte er in der Bevölkerung Geld für das Projekt sammeln. Große Hoffnungen setzt er außerdem auf die Bewilligung öffentlicher Gelder. Die Stiftung hat beantragt, den Hof unter Denkmalschutz zu stellen, um Fördermittel für eine denkmalgerechte Sanierung beantragen zu können.

Robert Gruszecki auf dem Hof, der ein deutsch-polnisches Begegnungszentrum werden soll. Bis dahin ist es ein langer Weg, noch weht der Wind Schnee und Regen durchs Gemäuer. (Foto: Thomas Kluttig)

Auch die Umbaupläne haben bereits konkrete Gestalt angenommen. Der renommierte Zgorzelecer Stadtarchitekt Adam Cebula, der unter anderem für Sanierung des polnischen Neißeufers verantwortlich ist, hat detaillierte Zeichnungen ausgearbeitet. Cebula legt dabei besonderen Wert auf die Verbindung von Funktionalität und Schönheit. Ein Gebäude soll ausschließlich mit althergebrachten Arbeitsmethoden saniert werden. Bei den anderen beiden Gebäuden kommen auch moderne Elemente wie Glas, überdachte Freiflächen, Wärmepumpen und Sonnenkollektoren zum Einsatz – unter der Voraussetzung, den traditionellen Charakter der Gebäude zu bewahren.

Projekte, die Adam Cebula bereits umgesetzt hat: https://adamcebula.eu/index.php/projekty/

Moderne trifft Tradition: So soll der Hof zukünftig aussehen. Ein Gebäude wird mit traditionellen Handwerksmethoden saniert, die anderen mit viel Glas. Die Entwürfe stammen von dem bekannten polnischen Architekten Adam Cebula.

Noch weht der Wind Schneeflocken durch die kaputten Fenster. Aber wenn die Finanzierung so funktioniert, wie es sich Robert Gruszecki vorstellt, wird das geplante Begegnungszentrum in vier Jahren fertig sein. „Letztendlich möchte ich, dass der Hof ein Ort des polnisch-deutschen Miteinanders wird, dass junge Leute Zeit zusammen verbringen und sich austauschen können. Sie sollen etwas über die gemeinsame Geschichte, alte Berufe und Ökologie lernen und dabei auch Gerichte der polnischen und deutschen Küche probieren können. Alles auf eine spielerische Art.“

Um den Hof so originalgetreu wie möglich wiederaufzubauen, sucht die Stiftung Kuźnia nach Informationen, Fotos aus der Vorkriegszeit und Kontakten zu der Familie, die vor dem Krieg dort gelebt hat. Falls ihr etwas wisst oder jemanden kennt, der etwas darüber weiß, könnt ihr euch direkt an oder 360.kulturnet.pl wenden und gerne den Artikel und die Fotos teilen.

Dieser Artikel erschien zuerst am 20. Februar 2021 im Magazin 3mag.

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