Das Böhmische Paradies ist ein idyllisches Fleckchen Erde, aus dem sich wohl niemand gern vertreiben lassen möchte. Genau das scheinen die zehn Männer aus dem gleichnamigen Theaterstück von Jaroslav Rudiš jedoch zu befürchten. Deshalb ziehen sie sich regelmäßig in die Sauna zurück, eine heterotope Welt mit eigenen Regeln, zu der Frauen keinen Zutritt haben – von der Putzfrau abgesehen. In der Sauna fühlen sie sich sicher – vor Weibern, Problemen und Krankheiten. Allerdings reden sie dort fast ausschließlich darüber: über Frauen, das Saufen und Krankheiten.
Über Frauen, die Dinge tun, die ihnen unverständlich sind. Die sich mit den Zahnbürsten ehemaliger Liebhaber die Zähne putzen, ihre Männer anschweigen, weil bereits im ersten Ehejahr alles gesagt wurde und für die es bei IKEA nur ein Bett zu geben scheint, das für die gemeinsame Wohnung in Frage kommt – das Modell Malm. Über Autounfälle, bei denen man erkennt, ob ein Auto was taugt (wenn man nach dem Crash die Beine noch bewegen kann), wie man einen Kater bekämpft (mit Eis am Stiel auf nüchternen Magen, allerdings muss es die Marke Mischa sein) und wieviel Bier man trinken muss, um eine Kneipe zu füllen (bei drei Bier am Tag über 43 Jahre hinweg bleiben etwa 30 Zentimeter bis zur Decke).
Die Sauna als Kirche, wo die Männer unabhängig von ihrer Herkunft und ihren Berufen beichten können: der Feuerwehrmann, der Lehrer, der Frauenarzt, der Rentner, der Versicherungsmakler, der Autoverkäufer, der Tischtennismeister, der Taxifahrer, der Blinde und das Nesthäkchen. Und die dort Ratschläge bekommen, wie man Probleme mit Frauen und dem Leben im Allgemeinen am besten bewältigt – natürlich mit Bier, und zwar drei Flaschen täglich. Aber Achtung, zwei reichen nicht und vier sind zu viel. Außerdem muss es unbedingt tschechisches Pilsner sein, selbst wenn das strenggenommen von einem Deutschen erfunden wurde. Denn „wenn alle drei Bier täglich trinken würden, gebe es keine Kriege, keine Terroristen und keine Scheidungen.“
Es ist amüsant, den Schauspielern zuzuhören und zuzusehen, zumal man ihnen die Freude am Spiel deutlich anmerkt. Vor allem, wenn sie zu Highway to Hell mit ihren Handtüchern jonglieren. Das Bühnenbild gibt genügend Raum dazu, denn anders als in einer echten Sauna nehmen aufeinandergestapelte Holzscheiben die gesamte Bühne ein und symbolisieren so gleichzeitig die Sandsteinfelsen des Böhmischen Paradieses. Inhaltlich erschlossen hat sich mir die Showeinlage allerdings nicht. Genauso unstimmig erscheint mir, dass jeder Akt mit Rusalkas Ode an den Mond beginnt, einem Lied, in dem Rusalka ihrer Sehnsucht nach dem Geliebten Ausdruck verleiht, von dem sie später bitter verraten und enttäuscht wird.
Bis zur Pause hatte ich außerdem den Eindruck, dass in der Inszenierung lustige Anekdoten willkürlich und ohne wirkliche Dramaturgie aneinandergereiht wurden. Ein Irrtum, wie sich im zweiten Teil zeigte, denn dort entfaltet das Stück seine eigentliche Stärke. Die amüsanten Anekdoten zeigen ihre tragische Seite und tragische Begebenheiten Galgenhumor.
Da wäre zum Beispiel der Nachbar des Blinden, der jedes Mal um Mitternacht die deutsche Nationalhymne hört, um nicht zu vergessen, dass die Deutschen seinen Vater umgebracht haben. Und der womöglich der gleiche Nachbar ist, der Schmetterlinge sammelt und stundenlang mit der Giftspritze auf den Augenblick wartet, in dem der Schmetterling seinen Kokon verlässt und zum ersten Mal seine Flügel ausbreitet. Und der, wenn der Schmetterling gerade anfängt zu leben, zusticht.
Andersherum wird der Unfalltod der allseits bewunderten schönen Frau des Lehrers, der sich als tragische Komponente von Anfang an durch das Stück zieht, im Nachhinein entzaubert. Eigentlich hätte der Lehrer im Unfallwagen sitzen müssen, um seine Tochter vom Bahnhof abzuholen. Nur hatte der schon Bier getrunken, so dass seine Frau einsprang, was sie in der Stunde ihres Todes zu folgenden letzten Worten veranlasste: „Da hat mein Doofi mal wieder Schwein gehabt.“ Genau dieses Wechselspiel von Komik und Tragik macht tschechischen Humor aus. Schade, dass das in der Inszenierung zeitlich recht weit auseinanderliegt.
Während die Männer im ersten Teil des Stücks noch auf dem Standpunkt stehen: “Was lernen wir von den Weibern übers Leben? Gar nichts!”, wagen sie sich zum Schluss doch noch aus ihrer Komfortzone heraus. Sie machen sich auf den Weg auf die andere Seite, zur Frauensauna, von der bisher nur gelegentliches Gelächter zu ihnen gedrungen ist. Allerdings sehen sie dort zunächst nichts, nur Nebel und ein großes schwarzes Loch. Aber wenn es keine Frauen gibt, gibt es dann überhaupt Männer? Ich hoffe sehr, dass sich der Nebel lichtet, denn schließlich heißt Nebel rückwärts gelesen Leben. Und dazu gehören auf diesem Planeten beide – Frauen und Männer.
Termine und Tickets findet ihr auf der Seite des Deutsch-Sorbischen Volkstheaters.
Der Roman Český raj ist bereits in Tschechien erschienen. Auf deutsch kommt das Buch voraussichtlich Mitte nächsten Jahres in die Läden.