Vier Tage im Jahr gehören ausschließlich mir. Seit acht Jahren fahre ich an jedem ersten Juliwochenende zum Tanz- und Folkfestival (TFF) nach Rudolstadt. Vier Tage lang höre ich Musik aus aller Welt, tanze, singe und sauge neue Geräusche, Gerüche und Eindrücke auf.
An 361 Tagen im Jahr ist Rudolstadt eine beschauliche thüringische Kleinstadt, die den meisten am ehesten durch Schillers Techtelmechtel mit den Schwestern Lengefeld oder der über der Stadt thronenden Heidecksburg bekannt ist. Seit mittlerweile 24 Jahren aber verwandelt sich die Stadt. An jedem ersten Juliwochenende gesellen sich zu den 23.000 Einwohnern 87.000 Folk- und Tanzbegeisterte, die 100 Bands aus 22 Ländern bei 250 Auftritten auf mehr als 20 Bühnen hören und sehen wollen. Die Stadt füllt sich mit bunten Farben und Klängen. Unter Einheimische mischen sich Besucher aus anderen Gegenden Deutschlands und anderen Ländern Europas. Es kommen Familien mit Kindern, Jugendliche oder Paare mittleren Alters genauso wie Rentner; Alt-Achtundsechziger treffen auf Folkies, Studenten oder eben ganz normale Leute.
Für alle vier Tage gibt es einen Veranstaltungsplan mit allen Bühnen und Terminen und ein Heft, in dem alle Künstler vorgestellt werden. Es gibt Besucher, die sich ihre Konzerte von Donnerstag bis Sonntagabend heraussuchen und ihr persönliches Programm durchplanen. Ich suche mir nur ein paar Künstler heraus, die ich unbedingt sehen möchte. Ansonsten lasse ich mich von meiner Laune und der Stimmung des Festivals treiben.
Einer meiner Höhepunkte ist immer das Freitagabend-Konzert der Thüringer Symphoniker auf der Heidecksburg. In jedem Jahr begleiten sie jeweils einen anderen Gast: Arlo Guthrie, die chinesische Sängerin Gong Linna, die Fado-Sängerin Carminho oder die Puppini Sisters zum Beispiel. Auf dem Burghof sitzend, die Wolken am Himmel betrachtend und den eigens für dieses Konzert eingeübten Arrangements lauschend – eigentlich beginnt für mich erst damit das Festival.
Am Samstagvormittag schlendere ich am liebsten durch die Stadt. Rund um den Marktplatz werden an Handwerker- und Verkaufsständen in Handarbeit produzierte höchst individuelle Kunst- und Designstücke verkauft – Kleider, Fotos, Bilder, Schmuck, Spielzeug und Papierwaren zum Beispiel. Entlang der Mangelgasse zwischen Marktplatz und Neumarkt zeigen Instrumentenbauer ihre Kunst. Hier kann man Geigen, Trommeln, Gitarren und andere Instrumente selbst ausprobieren. Außerdem stehen in der Innenstadt an fast jeder Ecke und auf jedem freien Platz Straßenmusiker, von denen viele genauso gut auf einer der Bühnen auftreten könnten – so gut ist die Musik.
Am Abend bin ich dann, nach einer Abkühlung in der Saale und einem Abstecher zum Schillerhaus, im Heinepark. Auf der Konzertbühne und der großen Bühne spielen die Bands meist etwas lautere und wildere Musik zum Mitgrooven – Russian Punk Rock, Speed Folk, metallisch oder elektronisch anmutende Klänge etwa. Wer lieber tanzen möchte, kann das im Tanzzelt tun. Dort spielen Musiker zu Paar- oder Gruppentänzen auf. Man kann getrost auch allein hingehen – einen Tanzpartner findet man allemal.
Zwischen den Bühnen und dem Tanzzelt gibt es Stände mit Gerichten aus aller Welt. Arabische Falafel, italienische Pasta, indische Currys, finnische Sandwiches, ungarische Langos, Elsässer Flammkuchen und Thüringer Bratwürste duften mit Räucherwerk und Shisha-Pfeifen um die Wette. Es gibt Löwenzahn-, Erdbeer- und Rhabarberwein, Weine von Saale und Unstrut, irisches oder deutsches Bier, Caipirinhas und Margheritas und zum Wachwerden Kaffee oder Tee. Wer sich ausruhen möchte, kann das in einer der zwischen den Bäumen aufgespannten Hängematten, im Massagezelt oder unter der Linde bei den Bauernhäusern tun.
Obwohl ich meist erst gegen Morgen in mein Zelt komme, fängt der Sonntag für mich mit dem Gottesdienst in der St.-Andreas-Kirche an. Nicht wegen der Predigt, sondern wegen der ungewöhnlichen Kirchenmusik, die diese Gottesdienste begleitet: dem eigentümlichen Chorgesang sardinischer Tenöre, dem Duett eines orthodoxen Christen und eines albanischen Muslims oder dem betörend schönen Gesang samischer Frauen aus Nordschweden.
Am Sonntagabend sehe ich mir bei der Abschlussveranstaltung auf dem Markt die Künstler an, die ich an den anderen Tagen verpasst habe. Mit dem Abschlusskonzert im Heinepark geht das Festival unwiderruflich zu Ende. Am Montagvormittag fahre ich wieder nach Hause, im Gepäck jede Menge CDs und die Sinne voller neuer Eindrücke, von denen ich mich das restliche Jahr inspirieren lassen kann. Und spätestens zu Weihnachten kaufe ich mir die Eintrittskarte fürs nächste Jahr.
Informationen zum Programm 2015, zum Ticketverkauf und den Übernachtungsmöglichkeiten gibt es unter www.tff-rudolstadt.de.
Dieser Blogartikel ist mein Beitrag zur Blogparade “Mein Kultur-Tipp für Euch” von Tanja Praske.