Wenn Rudolstadt Schillers heimliche Geliebte war, dann ist Rudolstadt meine große Liebe. Einmal im Jahr in eine Atmosphäre eintauchen, die so ganz anders ist als der Alltag in Berlin: Menschen treffen, die einen anlächeln, nur mal so. Oder von sich aus Hilfe anbieten, wenn sie sehen, dass man welche braucht. Oder einem nach dem Zeltaufbauch einen kühlen Cidre bringen, wenn man durchgeschwitzt und fertig auf der Wiese liegt. Kein Stress, keine Hektik, keine Schimpfworte, wenn es mal nicht nach Plan läuft. Von der musikalischen Vielfalt und den Impulsen ganz zu schweigen.
Rudolstadt 2015 war allerdings ein Ausnahmezustand für mich. Normalerweise bin ich nicht wetterempfindlich und stehe auch bei Regen vor der Bühne. Aber bei über 40 Grad in der Sonne? Keine Chance! Mein diesjähriges Festivalprogramm orientierte sich deshalb rein an den Veranstaltungsorten. Heinepark und Saale? Ja. Kirche? Okay. Innenstadt, Burg und Burgterasse tagsüber? Unmöglich. Also versuchte ich das Beste daraus zu machen, gönnte mir Mut zur Lücke und entdeckte dabei Musik und Tänze, die ich wahrscheinlich sonst nicht gesehen hätte.
Wie zum Beispiel Katajjacoustic, zu denen ich eigentlich nur ging, weil es in der Stadtkirche kühl war. Katajjacoustic singen Katajjak, das traditionelle Gesangsspiel der Inuit-Frauen. Dabei stehen sich zwei Frauen, in diesem Fall Kiah Hachey und Karen Flaherty aus Kanada, sehr nah gegenüber. Eine der beiden Sängerinnen fängt an, Silben oder Laute auszustoßen, die nur aus dem Kehlkopf kommen. Mal dumpf, mal brummend, mal gurrend, mal pfeifend, um Naturgeräusche wie Wind, Meer, Schneesturm oder Vögel zu imitieren. Die andere Sängerin fällt ein, dann beginnt ein Wettkampf. Jede der beiden versucht, die jeweils andere aus dem Rhythmus zu bringen. Gelingt es, gibt die Verliererin auf, indem sie die Siegerin anlacht.
Anfangs war ich irritiert, solche rauhen und wilden Laute von zwei jungen Frauen zu hören. Sie schienen so sogar nicht zum äußeren Erscheinungsbild zu passen. Andererseits konnte ich mich nicht losreisen von der fast meditativen Stimmung, die durch das Zusammenspiel der beiden entstand. Vielleicht auch, weil Katajjak weit entfernt von Musik oder Gesang ist, wie wir ihn eigentlich verstehen. Am beeindruckendsten für mich aber war, es selbst zu versuchen. Kiah und Karen erklärten und übten den Gesang mit uns, dann sang die eine Hälfte der Zuschauer gegen die andere. Die Laute im eigenen Kehlkopf zu spüren und im Kirchenschiff widerhallen zu hören – unbeschreiblich.
Bunt, bunter, Rudolstadt:
Die Tanzgeiger aus Österreich stellten meinen Kreislauf auf eine harte Probe. Eigentlich wollte ich im Schatten des Tanzzeltes nur meine Apfelschorle austrinken, da suchte Rudi Pietsch ausgerechnet mich aus, um einen Steirer vorzutanzen. Dabei tanze ich weder besonders gern, noch stehe ich gern im Mittelpunkt. Abzulehnen habe ich mich aber auch nicht getraut. Erstaunlicherweise war es wirklich lustig, sich in guter alter Macho-Manier durch den Tanz führen zu lassen. Bei den zahlreichen Drehungen wurde mir allerdings ordentlich schwindlich und ich war dankbar, dabei gut festgehalten zu werden. Trotz der fast unerträglichen Temperaturen standen außer uns noch einige andere Paare auf der Tanzfläche, die ebenfalls sichtlich Spaß hatten. Nicht nur am Tanzen, sondern auch an den schönen Erklärungen der jeweiligen Figuren, wie zum Beispiel Doppelfenster und Nachsteigen. Wiener Schmäh gepaart mit Tanzmusik ist einfach unschlagbar.
Funny van Dannen war der einzige Programmpunkt, den ich unbedingt sehen wollte. Zum Glück spielte er erst abends auf der Burgterasse, die dann auch brechend voll war. Oder, wie Funny van Dannen meinte: “Bei einem Fußballspiel wären 3.000 Zuschauer eine traurige Kulisse. Die wissen gar nicht, wie verwöhnt die sind”. Diese Kulisse und die besondere Rudolstädter Stimmung wollte er offensichtlich voll auskosten, so nach dem Motto: Wie bringe ich möglichst viele Lieder in anderthalb Stunden unter? Oder: Best of Funny van Dannen complete. Was mich besonders gefreut hat, schließlich war es das erste Mal, dass ich Funny van Dannen live gesehen habe. Allerdings setzten sich Lieder wie “Nana Mouskouri” und “Schieb den Wal zurück ins Meer” bei mir als hartnäckige Ohrwürmer fest, die ich erst Tage später wieder los wurde.
Natürlich habe ich trotz der Hitze mehr als diese drei Konzerte gesehen. Ohne das Baden in der kühle Saale, das Wasser aus den zahlreichen Brunnen oder der kostenlosen Trinkwasserversorgung in der Innenstadt wären es allerdings sehr viel weniger gewesen. Und ohne Jörg vom Antikcafé am Anger. Bei ihm bekomme ich seit neun Jahren ein tolles Frühstück mit Blick in den Innenhof. Ich kann bei ihm, auch tagsüber, mein Handy und meinen Fotoapparat aufladen. Er hält mich gleich am Freitag früh über Neuigkeiten zum aktuellen TFF auf dem Laufenden und erzählt mir abends bei einem Glas Wein Schwänke aus den vergangenen Jahren. In diesem Jahr war er außerdem Wasserauffüllstation und Wetterdienst für mich. Am Samstag Mittag ergaben unsere Messungen: Temperatur im Innenhof des Cafés 30 Grad. Temperatur draußen im Schatten 37 Grad. Temperatur in der Sonne 42 Grad. Das einzig Gute an diesen extremen Temperaturen: Die Erinnerung daran bietet genügend Gesprächsstoff für das gemeinsame Glas Wein im nächsten Jahr.
Strategien gegen die Hitze:
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