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Benutzt, mißbraucht und zerfetzt – “Amerika” am Theater Bremen

Karl Rossmann liegt auf der Bühne des Theaters in Bremen – auseinandergenommen, zerfetzt, kaputt. Eine überlebensgroße Puppe, die Gliedmaßen verstreut auf den Brettern, daneben Kopf und Torso. Dabei hatte es eigentlich ganz gut angefangen für Karl, der 16jährig von seinen Eltern nach Amerika geschickt wurde. Nicht geschickt, sondern „beiseite geschafft, wie man eine Katze vor die Tür wirft, wenn sie ärgert“. Ärgern heißt in Karls Fall, dass er ein Dienstmädchen schwängerte und die Eltern Forderungen nach Alimenten aus dem Weg gehen wollten.

Im Hafen von New York wird Karl von seinem Onkel wie der verloren geglaubte Sohn begrüßt. Der Onkel lässt ihn teilhaben an seinem Leben in Wohlstand. Nur leider währt die schöne Zeit nicht lange, Karl wird aus einem kaum nachvollziehbaren Grund verstoßen und stolpert daraufhin in einen Albtraum. Vom Millionär zum Liftboy, vom Liftboy zum Sklaven. Der amerikanische Traum, rückwärts erzählt.

Wenn der amerikanische Traum zum Albtraum wird. Es gibt kein Entkommen für Karl. (Foto: Jörg Landsberg)

Die ersten Szenen der Inszenierung sind magisch. Behutsam, fast zärtlich, erweckt Puppenspieler Jarnoth Karl zum Leben. Staunend schauen Karls Augen auf die neue Welt. Das Tempo steigert sich, immer mehr Schauspieler bemächtigen sich der Puppe, bewegen sie, benutzen sie, mißbrauchen sie und nehmen sie schließlich auseinander: Klara, die Karl in ihr Zimmer zwingen will. Hotelköchin Grete, die Karl erst hilft und dann wieder fallen lässt. Sekretärin Therese, die zwar Gefühle für Karl hat, sich aber nicht traut, offen zu ihm zu stehen. Tagelöhner Robinson, der Karl ausraubt und dafür sorgt, dass Karl seine Anstellung verliert. Opernsängerin Brunelda, die Karl für ihre Befriedigung missbraucht. Und Karl? Karl lässt alles geschehen. Denn Amerika empfängt ihn zwar mit der Freiheitsstatue, um deren Gestalt die Lüfte der Freiheit wehen, aber nichts erscheint Karl wertloser als frei zu sein. Denn eigentlich möchte er nur eins: Dazugehören.

Die Inszenierung von Alexander Riemenschneider, die auf einer von Jaroslav Rudiš erarbeiteten Fassung von Kafkas Roman „Die Verschollenen“ basiert, folgt weitestgehend der Vorlage. Nur das erste Kapitel wurde weggelassen, die Bühnenfassung beginnt mit Karls Ankunft in Amerika. Die anderen Kapitel folgen wie Filmsequenzen aufeinander, begleitet von der Musik der Kafka-Band, die die Szenen verbindet und ihnen eine zusätzliche Dimension verleiht.

Die Kafka-Band verbindet mit ihrer Musik die Szenen der Inszenierung. (Foto: Jörg Landsberg)

Unter anderem durch den meditativ beginnenden Song „New York“ (grandios gesungen von Schauspielerin Annemaaike Bakker), der zum Ende hin in den Sound der amerikanischen Großstadt mündet. Oder dem Lied „Gott oder Teufel“, von dem die erste Strophe aus einem Brief Kafkas an Oskar Pollak stammt. Und wenn Jaromír 99 immer wieder beschwörend „dlouhu cestu mám před sebou“ singt, bekommt man ein Gefühl für die Weite Amerikas und den Weg, der noch vor Karl liegt. Die Inszenierung verbindet gekonnt Bilder, Text und Musik und lässt Kafkas Roman lebendig werden. Die Idee, Karl als Puppe darzustellen, eröffnet zudem Möglichkeiten, die man mit Schauspielern allein nicht hätte.

Zum Schluss sammelt Karl seine Glieder übrigens wieder ein und folgt dem Ruf des Theaters von Oklahoma. Kafkas Roman blieb unvollendet, auch das Theaterstück endet an dieser Stelle. Es bleibt der Phantasie des Zuschauers überlassen, ob Karl sein Glück in Oklahoma findet. Ich möchte das stark bezweifeln.

Weitere Infomationen zur Inszenierung und alle Termine gibt es hier.

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