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Wir haben gespielt, wir sind frei

Der Prolog zu „The Beggar`s opera“ hat gerade begonnen, und schon ist man drin im Stück. Das heißt, nicht im eigentlichen Stück von John Gay aus dem Jahre 1728, sondern in der Realität des Anhaltischen Theaters Dessau. Kaum spricht Bettlerkönig Peachum die ersten Sätze, unterbricht ihn Doc Hopeman mit der Mitteilung, dass das Theater in diesem Jahr 3 Millionen Euro einsparen muss.

Angesichts dieser Nachricht ist an eine normale Aufführung nicht mehr zu denken, zumal Doc Hopeman als Vertreter der Landesregierung permanent nach Einsparungsmöglichkeiten sucht. Dabei fliegen einem immer wieder Zitate um die Ohren, die man in der Debatte über die Einsparungen am Anhaltischen Theater tatsächlich von Politikern der Landesregierung hören musste. Darunter Zumutungen wie: „Es gibt Menschen, die können Krise und es gibt Menschen, die in solchen Momenten schlicht und einfach überfordert sind“, oder „Wir wollen nicht länger in ein krankes System investieren“ als Begründung für die im Dezember letzten Jahres endgültig beschlossenen Einsparungen. Die bedeuten für das Theater übrigens den Wegfall zweier kompletter Sparten, Ballett und Schauspiel. Nur Kindervorstellungen, Opern, Operetten und Konzerte soll es in Dessau zukünftig noch als Eigenproduktionen geben.

Dessau Beggars Opera

Geld oder Theater?

Mit Galgenhumor, Selbstironie und einer guten Portion Kampfeslust halten die Schauspieler dagegen und suchen Lösungen für das offenbar unlösbare Problem. Doch trotz des hochbrisanten Themas und der klaren politischen Ausrichtung des Stücks fühlt man sich als Zuschauer sowohl bestens unterhalten, als auch in die Diskussion auf der Bühne einbezogen. So kommentieren die Premierenzuschauer beinahe jedes Zitat und jede Erwiderung durch Klatschen oder Zwischenrufe.

Und dann gibt es Szenen, da bleibt einem das Lachen im Hals stecken, zum Beispiel wenn die von der Kürzung betroffenen Mitglieder des Balletts die Bühne betreten und daraufhin gleich wieder verabschiedet – also entlassen werden. Nicht nur Schauspieler, Musiker und Tänzern dürften sich darin wiederfinden, wenn Doc Hopeman Polly anbietet, ihr Gehalt „vormittags mit Raumpflege, nachmittags mit einer netten Führung durchs Bauhaus“ aufzubessern.

„Wir wollen gar nicht betteln, sondern spielen“ – so endet die Beggar´s Opera. Genau das zeigen die Schaupieler dann im zweiten Teil, „Polly“. Die Schauspieler verlassen ihr Theater, um ihr Glück in einem anderen Land, in Amerika, zu finden. Die Aufführung wird rasanter, bunter und wesentlich turbulenter, ohne den politischen Faden aus dem Auge zu verlieren. Selbst der Dirigent wird ins Stück einbezogen, indem er statt desTaktstocks eine Windmühle aus Flugzeugen schwenkt, ein Piratentuch trägt oder bei der großen Kampfszene zum Schluss von einem Indianerpfeil getroffen wird. Auch die Bühnentechnik, ursprünglich gebaut um Wagner-Stücke aufzuführen, wird samt Dreh- und Hebebühne komplett eingesetzt. Regisseur und Ensemble zeigen so eindrücklich was man leisten kann, wenn einem wie in Dessau alle Ressourcen zur Verfügung stehen. Noch.

„Wir haben gespielt, wir sind frei!“ lauten die letzten Worte auf der Bühne. Das kann bedeuten, wir haben gekämpft und alles getan, um die Kürzungen abzuwenden. Oder eben auch, für uns ist es hier zu Ende. Die 1.100 Zuschauer im Saal sind jedenfalls begeistert. Ganze elf Minuten lang gibt es stehende Ovationen.

Anhaltisches Theater Dessau
Vorstellung vom 22.2.2014

Auch veröffentlicht auf www.livekritik.de.

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