Mit Franz Kafka konnte man mich zu Schulzeiten erfolgreich in die Flucht schlagen. Ich erinnere mich dunkel an einen Film zur Erzählung „Die Verwandlung“. Der dauerte zwar nur eine knappe Stunde, erschien mir aber schier endlos. Das einzige, was ich dabei empfand, war drückende Langeweile. Ich hätte mir nie eine Vertonung von Kafka-Texten angehört, wäre nicht einer meiner Lieblingsschriftsteller, Jaroslav Rudiš, Mitinitiator des Projektes Kafka Band.
Die Kafka Band, zu der außerdem der Zeichner und Musiker Jaromír 99 und bekannte tschechische Musiker wie Dušan Neuwerth, A.m. Almela, Jiří Hradil, Zdeněk Jurčík und Tomáš Neuwerth gehören, vertonte zehn Lieder zu Kafkas unvollendetem Roman „Das Schloss“. Am 10. Juni konnte ich die Band live auf der Bühne im Heimathafen Neukölln sehen.
Die Kafka Band inszeniert den Roman durch die Verbindung von Lesung, Gesang, Musik und Videoshow. In die auf deutsch gelesenen Textpassagen mischt sich tschechischer Gesang, zur Musik laufen im Hintergrund schwarz-weiße Comicanimationen. Polkaklänge wechseln mit Folk, ruhige Passagen mit düsteren Klängen. Jaroslav Rudiš’ tiefe Stimme und der leise, fast sanfte Gesang von Jaromir99 spiegeln dabei die Texte wider – mal melancholisch, mal verzweifelt, mal sehnsuchtsvoll, mal wütend.
Die scherenschnittartigen Projektionen zeigen die entsprechenden Bilder: K. und seine Geliebte Frieda in verzweifelter Umarmung, die verschlossenen Minen der Dorfbewohner in der Kneipe beim Bier, die Schreibtische der Bürokraten im Schloss – und fast immer fallen Schneeflocken, spielt der Roman doch überwiegend im Winter.
Die Verbindung von Sehen und Hören, von Text und Gesang, von Musik und Bildern schafft eine dichte Atmosphäre, der man sich nicht entziehen kann. Manche Stellen haben sogar etwas Meditatives – vor allem, wenn Textpassagen längere Zeit wiederholt werden.
Die Musiker sind nicht nur spielerisch perfekt. Man man merkt ihnen an, wieviel Spaß es macht, gemeinsam auf der Bühne zu stehen. Der Klang war gut abgemischt, die Texte sehr gut zu verstehen. Nur stellenweise war es insgesamt etwas zu laut.
Während es bei den Liedern andächtig still war, applaudierte das Publikum nach jedem Lied und forderte zum Schluss begeistert Zugaben. Da gab es dann übrigens auch ein Lied zur eingangs erwähnten Erzählung – und bei mir längst keine Langeweile mehr. Ich könnte mir sogar vorstellen, das nächste Mal zu Kafka zu tanzen.
Heimathafen Neukölln
Konzert vom 10.6.2015
Auch veröffentlicht auf www.livekritik.de.