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Berlin setzt auf Kultur

Dieser Artikel  über die aktuellen Entwicklungen in der Berliner Kulturszene ist auf dem tschechischen Portal ČESKÉ POZICI erscheinen. Die Journalistin Zuzana Lizcová hat mich dafür zur kulturellen Ausrichtung Berlins jetzt und in den nächsten Jahren befragt.

Neil MacGregor ist kein großer Showman. Er spricht präzise, mit einem leichten Lächeln und zur Sache. Laut Fachleuten gehört der schlanke Schotte derzeit zu den besten Museumsdirektoren weltweit. Während seiner 13jährigen Amtszeit im Britischen Museum hat er die Besucherzahl des traditionsreichen aber auch konservativen Hauses um 50 Prozent gesteigert. Heute ist es nach dem Pariser Louvre das zweitpopulärste Museum der Welt.

Als Neil MacGregor im vorigen Frühjahr bekanntgab, dass er seinen Traumjob aufgibt, war das wie ein Knall. Insbesondere als sich herausstellte, dass er mit seinen fast 70 Jahren nicht in Rente geht, sondern eine neue Stelle in der deutschen Hauptstadt antritt – im neu entstehenden Humboldt-Forum im Berliner Schloss, das eines der bedeutendsten deutschen Kulturinstitutionen werden soll.

Vom Aschenputtel zum Stern

Berlin war lange Zeit so etwas wie das Aschenputtel unter den Weltmetropolen. Vor einem Vierteljahrhundert überlegte man sogar, ob Berlin überhaupt Hauptstadt des wiedervereinigten Deutschlands werden sollte. Die Mehrheit der Regierungsbeamten zog nur ungern aus dem gemütlichen Bonn so weit in den Osten. Die Stadt war vernachlässigt, überschuldet und eine Dauerbaustelle. Viele Firmen, die Dank der Anreize zu Zeiten des kalten Krieges in Westberlin ansiedelten, schlossen ihre Niederlassungen. Wenig anders erging es den muffigen Ostbetrieben, die die neue Zeit einfach überrollte.

Wohin bewegt sich die Berliner Kulturszene?

Wohin bewegt sich die Berliner Kulturszene?

Wie eine große Narbe durchzog der ehemalige Mauerstreifen das Zentrum der Stadt von Norden nach Süden. Die lukrativen Grundstücke waren von Unkraut überwuchert, zwischen den leeren Flächen ragten nur hier und dort ein paar hypermoderne Gebäude auf. Alte Häuser, in die jahrzehntelang niemand investierte, wurden nur langsam saniert, in einem Teil der Wohnungen gab es noch lange Zeit Ofenheizungen. Die Arbeitslosigkeit stieg während der ersten zehn Jahre nach dem Mauerfall auf bis zu 19 Prozent. Dafür ging es den unabhängigen Künstlern, Studenten und alternativen Klubs gut. Nach Berlin fuhr man lange Zeit eher wegen der guten Kebaps, nicht wegen der Spitzengastronomie.

In den letzten 10 Jahren veränderte sich das Gesicht der Stadt beträchtlich. Die freien Flächen im Zentrum verschwanden vollständig. Die verrauchten Kneipen wurden an den meisten Orten von schicken Coffeeshops und Restaurants abgelöst, von den renovierten Fassaden glänzen die Firmenzeichen internationaler Modemarken. Aus den Straßen der Problemviertel wurden Nobeladressen. Die schnell wachsende Dreieinhalb-Millionen-Stadt an der Spree beginnt nun mit neu geweckten Ambitionen auf die großen Weltmetropolen zu schielen – Paris, London und New York.

Beweis dafür ist auch die personelle Neubesetzung der großen Berliner Kulturinstitutionen. Neben dem erwähnten Neil MacGregor wurden in letzter Zeit noch zwei andere Kulturmanager von Weltformat berufen – der Holländer Paul Spies, der ab Februar das Berliner Stadtmuseum leiten wird und der Belgier Chris Dercon, der ab 2017 die Leitung der Volksbühne übernimmt.

„Die drei Personalien stehen für Öffnung, Innovation und den Wunsch, sich besser in der internationalen Kulturszene zu vernetzen“, erklärt Juliane Wünsche, Geschäftsführerin des Kultur- und Rezensionsportals livekritik.de gegenüber ČESKÉ POZICI. „Berlin war schon immer für ausländische Künstler und Kulturmanager attraktiv. Nicht unbedingt deshalb, weil Berlin die besten Bedingungen oder die beste Bezahlung im Kulturbereich hat. Berlin ist einfach eine lebendige und geschichtsträchtige Stadt, die kulturell äußerst unterschiedliche und spannende Dinge zu bieten hat“, meint Wünsche und fügt hinzu, dass auch der Politik bewusst sei, dass Berlin vor allem ein Standort für Wissenschaft und Kultur ist. In einem kürzlich erschienenen Interview auf ČESKÉ POZICI bestätigte das auch der Berliner Bürgermeister Michael Müller.

Alternative Szene oder Hochkultur? Oder beides gleichberechtigt nebeneinander?

Alternative Szene oder Hochkultur? Oder beides gleichberechtigt nebeneinander?

Laut Wünsche ist der Ausbau und die Weiterentwicklung der Berliner Kulturszene spätestens seit 2014, als der Musikproduzent und Publizist Tim Renner zum Staatssekretär für Kulturelle Angelegenheiten berufen wurde, ein strategischer Schwerpunkt der Stadt. Von den drei internationalen Kulturmanagern verspricht man sich in Berlin neue Impulse für die Kulturinstitutionen und eine bessere Vernetzung in der internationalen Kulturszene. Und nicht nur das: „Viele Ausstellungshäuser und Spielstätten in Berlin haben noch einen großen Nachholbedarf hinsichtlich der Kommunikation mit den Besuchern, insbesondere was die sozialen Medien angeht“, meint Juliane Wünsche. Einen Impuls könnte laut ihr beispielsweise Paul Spies geben, der solche innovativen Maßnahmen bereits während seiner Zeit am Amsterdam Museum umsetzte. Das Museum ist heute „überaus erfolgreich” auf den Social-Media-Kanälen Twitter, Facebook, Youtube und Pinterest.

Eine Stadt, in der es sich gut leben lässt

Was aber reizt die großen Namen der Weltkultur an der deutschen Metropole? Neben der erwähnten Unterstützung durch die Stadt, so Juliane Wünsche, sei Berlin eine Stadt, in der es sich trotz der großen Veränderungen und den rasant steigenden Mieten gut leben lässt: „Es gibt die Großstadt mit ihrer Infrastruktur und trotzdem genügend Grünflächen und Seen, wo man sich erholen kann. Außerdem sind die Lebenshaltungskosten viel geringer als in anderen europäischen Städten.“

Dazu kommen die inhaltlichen Herausforderungen. Neil MacGregor, der hervorragend Deutsch spricht und zur deutschen Kultur eine langjährige enge Beziehung hat, lockt in Berlin die Chance, das Humboldtforum von Anfang an mitzugestalten und zu prägen. Für Chris Dercon, dem ehemaligen Leiter des Hauses der Kunst in München und erfolgreichen Direktor der Londoner Tate Gallery of Modern Art, wird es der wagemutige Sprung in die ihm bisher unbekannte Welt des Theaters sein.

Darüber hinaus bekräftigte der Senat, nicht nur die „Hochkultur“, sondern auch kleine alternative Kulturprojekte zu unterstützen. Wir können ihm nur wünschen, dass es ihm auf diesem Gebiet besser gelingt als bei der Lösung von sozialen und ökonomischen Schwierigkeiten, wie etwa der erfolglosen Bewerbung für die Olympischen Spiele oder dem Bau des Großflughafens BER.

Übersetzung: Juliane Wünsche

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