Im Jahre 2012 veröffentlichte Jarek Nohavica die CD „Tak mě tu máš“ (So stehe ich vor dir), ein Album mit sehr persönlichen und intensiven Liedern. In einem Interview mit der Zeitschrift “Deník” spricht er über seine Arbeit an der CD, tschechische Folkmusik und warum man glücklicher ist wenn man tut, was man liebt.
In dem Lied „Já chci poezii“ (Ich will Poesie) auf der CD „Tak mě tu máš“ beklagen Sie sich darüber, dass die Leute von Ihnen Autogramme, Geld oder Handyfotos möchten, aber niemand fragt Sie je etwas über Máchas Trochäen oder den Preis von Schaustellerwohnwagen. Wissen Sie denn, wieviel so ein Wohnwagen kostet?
Dank dieses Liedes beginnen mir die Leute ein wenig über Trochäen zu schreiben. Und ich habe schon Links zu Seiten über Schaustellerwohnwagen bekommen. Ich habe sie noch nicht durchgesehen, also weiß ich nicht, was so ein Wohnwagen kostet. Aber ich freue mich, dass ich alles nachschauen kann, weil ich über Schaustellerwohnwagen nichts weiß, auch nicht, ob sie hölzerne Räder oder Räder aus Gummi haben.
Warum haben Sie Ihrer neuen CD den Titel „Tak mě tu máš“ gegeben?
Wenn Sie sie sich anhören werden Sie feststellen, dass dies der Refrain des Liedes „Minulost“ (Vergangenheit) ist. Der Ausdruck „Tak mě tu máš“ gefällt mir, weil er ausdrückt: So stehe ich vor euch, nehmt mich so und sucht euch das heraus, was ihr möchtet. Es bin immer ich. Es ist eine Wendung, die man breit interpretieren kann, jeder kann sie so auslegen, wie er es auffasst und wie er es möchte. Das ist genau wie mit Liedern. Ein Lied ist dann gut, wenn du es hörst und darin etwas findest, das dich berührt. Wenn der Autor zwischen den Worten und Tönen soviel Platz lässt, dass du in diesem Lied dein Leben wiederfindest. Genauso ist es mit dem Ausdruck „Tak mě tu máš“.
Zu Ihren ausverkauften Konzerten kommen tausende Menschen. Denken Sie nicht auch manchmal an die 80iger Jahre zurück, als beim Pilsner Porta ganz Lochotín* gefüllt war?
Ich sehe meine Konzerte kontinuierlich, nehme also die 80iger, 90iger oder die 2000er Jahre nicht als getrennte Zeiträume wahr. Ich sehe immer mich selbst und es wiederholt sich immer das Gleiche: Ich fahre los, steige an einer Bühne aus, nehme meine Gitarre und beginne zu singen. Und die Leute versammeln sich entweder vor der Bühne und hören zu oder sie kommen nicht nach vorn. Es ist immer das Gleiche, ob in Lochotín vor 30.000 Zuschauern oder im Klub Karník, wo ich vor kurzem vor 120 Leuten gespielt habe, oder beim Festival „Benátská noc“ vor 20.000 Zuschauern oder auch hier auf dem Piaristické náměstí. Die Leute haben ab und an Lust, Lieder zu hören. Als ich 13 Jahre alt war, setzte ich mich im Hof auf die Teppichstange, nahm meine Gitarre und neben mich setzten sich andere Kinder. Ich spielte und sang ihnen etwas vor, und so mache ich es bis heute.
Auf Ihren Konzerten spielen Sie immer noch Übertragungen der russischen Liedermacher Wladimir Wyssozki und Bulat Okudschawa, der vor 15 Jahren starb. Wo haben Sie sich getroffen?
Bulat Okudschawa habe ich nie persönlich getroffen, ich begegnete ihm nur durch seine Lieder.
Bulat Okudschawa sagte, dass er in Tschechien erst nach dem Abzug der Sowjettruppen spielen würde. Er hätte dann einige Konzerte geben können, aber aufgrund seiner Krankheit kam er erst 1995. Der Veranstalter Jiří Vondrák erinnert sich, dass Sie auf einem der abgesagten Konzerte ebenfalls auftreten sollten, aber dann spielten Sie ganz allein.
Es ist schön, dass er sich daran erinnert und das ich damals helfen konnte. Es tut mir sehr leid, dass ich Bulat Okudschawa nicht getroffen habe. Wissen Sie, manchmal genügt es einen Menschen durch das, was er geschaffen hat, zu begegnen – sei es ein Buch, ein Film oder ein Lied. Ich bin froh, dass ich Bulat Okudschawa wenigstens auf diese Weise treffen konnte.
Wie sind Sie in den 80iger Jahren zu Okudschawa und Wyssozki gekommen? Deren Lieder waren hier kaum bekannt und die russische Sprache hatten die Leute nach der Okkupation 1968 auch nicht besonders gern.
Es war interessant, dass auf der einen Seite der große Internationalismus ausgerufen wurde und die Grenzen nach Osten geöffnet wurden, aber auf der anderen Seite konnte ich nicht über den Fluss Olza nach Polen gelangen. Genauso war es auch mit den Liedern, die ebenfalls nicht zu uns gelangten. Die ersten schlecht gemachten Mitschnitte erreichten mich in den 70iger und 80iger Jahren, was aus heutiger Sicht sehr lustig ist. Die Mitschnitte erhielt ich über polnische Freunde, weil die Polen doch noch etwas offener waren. Bulat Okudschawa fuhr auch in den 80iger Jahren nach Polen und spielte dort. Sie hatten dort seine Bücher und Aufnahmen, es erschienen dort Platten und Lieder von ihm, die schließlich bis zu mir kamen.
Die Offenheit Polens zeigte sich auch darin, dass dort 1989 ein großes Liedermacher-Treffen stattfand.
Anfang November 1989 wurde in Wrocław ein Treffen europäischer Liedermacher veranstaltet, etwa 10 Tage vor den November-Ereignissen bei uns. Wir kamen verstohlen, heimlich und wie Partisanen über die grüne Grenze. Zuerst trafen wir uns dort und dann sahen wir uns nach 14 Tagen zu Hause.
Auf Konzerten warben Sie für Okudschawa und Wyssozki und spielten die Lieder, die Ihren sehr ähnlich sind. Haben Slawen eine wehmütigere, melancholischere Seele?
Ich muss bekennen, dass ich nach 30 Jahren, in denen ich schon öffentlich auftrete, das nicht nur auf die slawische und melancholische Seele beschränke, obwohl es die Grundlage von allem ist, was ich tue und ich es tief in mir habe. Aber heute, nachdem ich schon ein Stück dieser Welt bereist habe, sehe ich, dass in Wirklichkeit das europäische Lied ein außergewöhnliches Phänomen ist. Das reicht von den französischen Chansons von Brel bis nach Odessa und den Kneipenliedern, mit denen seinerzeit auch Sergei Jessenin anfing. Es geht über Polen und uns bis hin nach Süden. Das europäische Lied im Ganzen ist sehr kompakt und sehr einzigartig. Daher hebt es sich von der amerikanischen Tradition ab, die mehr am Blues orientiert ist, so dass man die amerikanischen Lieder leicht von den europäischen unterscheiden kann. Ich neige eher zu den europäischen Liedern, selbstverständlich hauptsächlich zu den osteuropäischen, die melancholisch und nachdenklich sind. Ich wehre mich aber auch nicht gegen die Einflüsse von anderswo, was man in meinen Liedern auch hören kann.
Denken Sie darüber nach, dass Sie bereits seit 1982 auftreten, also bereits seit drei Jahrzehnten?
Es waren jetzt im März 30 Jahre. Wenn ich aber bedenke, dass ich meine Gitarre irgendwann mit 13 oder 14 Jahren in die Hände bekam, sind es schon mehr als 45 Jahre, in denen mich meine runde Geliebte auf der Welt und im Leben begleitet.
Konnten Sie sich damals, als Sie begonnen haben, vorstellen, dass Sie von den Liedern weitere 30 Jahre leben werden?
Der Mensch denkt so nicht darüber nach, das kennen Sie vielleicht von sich selbst. In diesem Wortsinn wählt der Mensch sein Schicksal nicht aus. Einige Dinge sind gottgegeben. Wenn ich zurück auf mein Leben blicke sehe ich, dass mir die Gitarre in die Hände gegeben wurde, dass ich überhaupt nicht darüber nachgedacht habe – ich habe sie einfach entgegengenommen. Ich bin froh, dass ich das genutzt und getan habe, was ich konnte. Ich habe Lieder geschrieben, soviel ich konnte, und habe auch Dinge bewältigt, die mich davon abgehalten haben – den Suff und andere Schwierigkeiten. Ich bin deshalb froh, dass ich das schon so lange mache, dass es mir vorbestimmt war, es zu tun. Ich bin froh, dass es die Leute unterhält und mich auch und dass es vielleicht noch ein paar Jahre anhält.
Dank Ihres bekannten Liedes „Darmoděj“ und Dank des Mitschnitts Ihres Konzertes, in dem Sie über den Dichter Karel Šiktanc erzählen, haben viele von der Existenz des Autors erfahren, der unter dem vergangenen Regime nicht veröffentlichen durfte. Wann haben Sie ihn getroffen?
Karel Šiktanc schätze ich sehr, weil er ein großer und hervorragender Dichter ist. Zu meiner großen Freude haben wir uns zweimal bei meinen Konzerten getroffen. Manchmal trafen wir uns auch auf der Straße und haben uns jedes Mal mit großer Freude unterhalten. Da fällt mir eine liebenswerte Erinnerung aus meiner Kindheit ein. Als ich noch ein kleiner Junge war – wie alt werde ich da wohl gewesen sein, sieben oder acht – da war ich mit meinem Vater in Prag. Wir gingen spazieren und trafen irgendeinen großen Mann mit einem großen, roten Kopf. Und mein Vater, der auch Gedichte schrieb, sagte zu mir: „Das ist Herr Šiktanc, Jarek.“ Dann, nach vielen Jahren, schrieb ich das Lied „Darmoděj“ und in ihm benutze ich seinen „Darmoděj“. Danach haben wir uns einige Male gesehen und ich war erfreut, dass ihm nicht nur dieses Lied, sondern auch viele andere von mir gefallen haben.
Auf einem Mitschnitt eines Konzertes aus den 80iger Jahren lesen Sie die Erzählung „Prase nebude“ (Ein Schwein wird er nicht) aus der ersten Ausgabe des Buches „Smrt krásných srnců“ (Der Tod der schönen Rehe) von Ota Pavel. In den Nachauflagen war sie schon nicht mehr enthalten.
Das ist eine schöne Erinnerung, vielen Dank dafür! Ich gebe zu, es ist eine sehr alte Aufnahme, die irgendwann Ende der 80iger Jahre gemacht wurde und ich glaube, dass ich die Erzählung in einem Brünner Klub gelesen habe. Zu dieser Erinnerung kommt aber noch etwas, das für mich wichtiger ist. Ich hatte großes Glück, dass bei meinen Konzerten Leute waren und sind – und ich hoffe es bleibt so – die nicht nur zuhören, sondern meine Konzerte auch mitschneiden. Hauptsächlich betraf das die 80iger Jahre. Jetzt sehe ich zurückblickend, dass vielleicht alle meine Konzerte irgendwo aufgezeichnet wurden und noch heute in Form von schnell zusammengeschnittenen und qualitativ schlechten Kassettenaufnahmen kursieren, die sich Leute anhören. Zu dieser Zeit erschienen keine Platten von mir und die Lieder lebten dank dessen, dass die Leute sie mitschnitten, abspielten und untereinander teilten. Das war der Vorteil unserer Folk-Liedermacher-Bewegung. Beim Konzert lief der Kassettenrekorder mit und es funktionierte. Deshalb macht es mir auch heute nichts aus, wenn meine Lieder genau so übers Internet verbreitet werden. Als ob ich stets aufgenommen, abgespielt und kopiert würde, wie bereits seit den 80iger Jahren. So dass Sie mich Dank dessen jetzt daran erinnern können, dass ich die Erzählung „Prase nebude“ gelesen habe, was sonst irgendwo in den Tiefen der Geschichte verschollen wäre. Vielen Dank noch einmal für die Erinnerung. Ich muss mal nach der Aufnahme suchen, denn in den 80iger Jahren war diese Erzählung indiziert (verboten, A.d.Ü.).
In Ihren Liedern verraten Sie, wann Sie geboren wurden, wie Ihre Frau und Ihre Kinder heißen, wie alt sie sind und wie sie leben. Sind solche Mitteilungen nicht manchmal ziemlich intim?
Ich kann Lieder nicht anders schreiben. Ich schreibe immer über mich selbst, über die Welt, in der ich lebe, darüber, was ich gerade erlebe oder was die, die mir nahestehen, erleben. Wenn ich zurückblicke, sind meine Lieder eigentlich eine zeitliche Chronik. Nicht nur eine Chronik meiner Zeit, sondern unseres tschechisch-slowakisch-polnisch-russisch-deutsch-französischen Talkessels.
Einige Male erwähnten Sie in Ihren Lieder Ihren Sohn Jakub. Hat er Ihnen niemals Vorwürfe gemacht, dass Sie über ihn in den Texten schrieben?
Mein Sohn Jakub, Jahrgang 1982, hat mich nicht danach gefragt. Es ist genau so, wie ich es bereits erwähnt habe – in meinen Liedern verrät sich mein Leben. Wissen Sie, die Leute fragen mich nach vielen Sachen und ich sage ihnen: Es reicht, meine Lieder zu hören und Sie finden die Antworten. Jakub nimmt es daher als gegeben hin. Mein Sohn mag Sport und es freut mich, dass er eine Arbeit macht, die ihm gefällt. Er ist ebenfalls Journalist, auch beim „Deník“. Nur dass Sie zur Zeit in Südböhmen sind und er bei uns in Mähren. Er bereitet sich schon auf die Eishockey-Saison vor, er hat dabei hauptsächlich Vítkovice und Třinec im Auge. Sie haben hier einen Verein in der Eishockey-Extraliga (höchste Liga, A.d.Ü.), aber da oben haben die Jungs zwei Vereine, um die sie sich kümmern müssen. Wichtig ist, dass er eine Arbeit macht, die ihm außerordentlich gefällt, er macht sie mit Lust und Freude. Dementsprechend sieht die Arbeit auch aus, und deshalb bin ich froh. Alles sollte man aus Freude tun und wenn es einem nicht gefällt, dann sollte man gehen und etwas anderes machen.
*Folkfestival in Pilsen, damals kamen bis zu 30.000 Menschen
Autor: Radek Gális
Quelle: Deník
Übersetzung: Juliane Wünsche