Artikel
2 Kommentare

Von der Kneipe zur tschechischen Musik

Von klassischer Musik wie Smetana, Dvořák und Mahler mal abgesehen, kam ich zum ersten Mal während meines Studiums zur Übersetzerin für Englisch und Tschechisch mit tschechischer Musik in Berührung. Das beschränkte sich zunächst auf die tschechische Hymne („Kde domov můj“) oder Kinderlieder zum Erlernen der tschechischen Sprache („Jedna, dvě, tři, čtyři, pět, cos to, Janku, cos to sněd“). Na ja, von Karel Gott und der Biene Maja möchte ich an dieser Stelle lieber schweigen.

Cechomor

Čechomor

Das änderte sich jedoch schlagartig, als ich im Herbst 1999 mein Auslandssemester an der Fachhochschule für Wirtschaft in Jindřichův Hradec begann. Direkt gegenüber von meinem Wohnheim, am Rande eines kleines Parkes und fast direkt an der malerischen Stadtmauer, befand sich die Kneipe U Fajfky. Da ich während meines Auslandssemesters nur 20 Unterrichtsstunden wöchentlich hatte, kann ich wohl ohne Übertreibung behaupten, dass ich dort mehr Zeit zugebracht habe als im Hörsaal. U Fajfky war eine typische verrauchte tschechische Kneipe der dritten Kategorie, ohne Essen. Das einzige, was man zum Bier bekommen konnte, waren sauer eingelegte Wurstscheiben mit Zwiebeln oder Kartoffelpuffer mit Speck und Kraut. An Weinsorten gab es genau zwei: Weißwein und Rotwein, aber die wenigstens aus Mähren. In dieser Kneipe trafen sich meist schon am frühen Abend diejenigen Studenten, die das Studium nicht ganz so ernst nahmen und dafür mehr Wert auf Geselligkeit legten. Fast jeden Abend waren auch ein oder zwei darunter, die eine Gitarre mitbrachten und die unterschiedlichsten Lieder spielten. Später am Abend saßen dann alle Gäste an einem Tisch zusammen und sangen kräftig mit.

Bei U Fajfky habe ich so zum ersten Mal „Zítra ráno v pět“ von Jaromír Nohavica gehört und mich in dieses Lied und überhaupt alle Lieder von Nohavica verliebt. Ich gebe zu, dass ich im 5. Semester meines Studiums nicht sofort verstand worum es ging, aber allein die Melodie und die Inbrust der Leute, mit der sie mitsangen, haben mich mitgerissen. Später habe ich mir die Liedtexte besorgt und akribisch ins Deutsche übertragen. Meine Lieblingslieder habe ich sogar auswendig gelernt, um an meinem 25. Geburtstag in eben jener Kneipe durch Textsicherheit zu glänzen. Dieser Geburtstag war bis jetzt mit Abstand der lustigste, aber auch anstrengendste, den ich erlebt habe. Ich habe mindestens eine Woche gebraucht, um mich von den Folgen zu erholen und wieder Weinflaschen ohne Abscheu ansehen zu können. Nach dem Auslandssemester fand die mündliche Sprachprüfung in Tschechisch an meiner Hochschule in Zittau statt. Meiner tschechischen Professorin sind fast die Ohren abgefallen, als ich ihr im schönsten Kneipentschechisch den Werdegang von Jaromír Jágr dozierte.

Einige Zeit später, inzwischen hatte ich mein Studium beendet, kam der Film Rok ďábla in die Kinos. Neben Jaromír Nohavica und Karel Plíhal spielten dort auch die Mitglieder der Band Čechomor mit. Seitdem bin ich ein glühender Anhänger böhmischer und mährischer Volksweisen im neuen Gewand. Jedesmal, wenn ich nach Tschechien fahre, bringe ich mir seitdem neue CDs oder DVDs von Nohavica oder Čechomor mit. Ich habe nur das Gefühl, dass die Musiker nicht so produktiv sind, wie sie meiner Meinung nach sein sollten. 2007 habe ich es dann endlich geschafft, Čechomor live zu sehen – in Prag und in Mikulov, wo gerade Weinfest war. Seit einigen Jahren spiele ich außerdem mit dem Gedanken, die Lieder ins Deutsche zu übertragen, und zwar nicht wortwörtlich, sondern als Nachdichtungen, die der Atmosphäre der Songs gerecht werden. Den Anstoß, meine Pläne endlich in die Tat umzusetzen, gab mir mein Freund, der polnisch spricht und mir mit der Übertragung von „Górale“ eine Vorlage lieferte. Die Resultate meiner Leidenschaft findet ihr nun in diesem Blog.

2 Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.