Mit diesem Vandam werde ich einfach nicht warm. Er säuft, zettelt Kneipenschlägereien an, war im Knast und sieht sich selbst als Patrioten, als letzten Tschechen, der seine Prager Siedlung am Rand der Stadt verteidigen muss. Seinen Kosmos, in dem Fremde nichts zu suchen haben. Nur leider kommt mir dieser Vandam irgendwie bekannt vor.
Ich habe einige Zeit in Tschechien studiert und abends sind wir Studenten oft in diversen Kneipen versackt. Wir haben jede Menge Bier getrunken, gequatscht und später holte immer jemand die Gitarre raus. Wir sangen dann die sehnsuchtsvollen Lieder von Kryl, Nohavica oder Hutka. Ich liebte die Lieder, sie bereicherten mein Leben und prägten irgendwie auch mein Bild von den Tschechen und Tschechien. Bis im Spätherbst 1999 eine Mauer um das Romaviertel in Ustí nad Labem gebaut wurde.
Die gleichen Leute, mit denen ich abends diese unglaublich poetischen Lieder sang, entpuppten sich als glühende Verfechter dieser Mauer und weigerten sich hartnäckig, darin Rassismus zu sehen. Sie brachten genau die gleichen Argumente vor wie Vandam im Buch „Nationalstraße“ von Jaroslav Rudiš. Vandam, der von sich sagt: „Ich bin kein Nazi“. Der nichts gegen Zigos hat, solange sie kein Remmidemmi machen. Der nichts gegen Fidschis hat, solange es im Haus nicht nach deren Nudelsuppe riecht. Wenn die Zigeuner in Ustí Dreck und Lärm machen und sich nicht anpassen wollen, dann gehören sie eben hinter eine Mauer. Das ist kein Rassismus, das ist Selbstverteidigung. Ordnung muss schließlich sein.
Deshalb ist Vandam nicht nur ein einsamer Verlierer, der mit seinen Kumpels in der Kneipe säuft und seinen Frust über die Politiker, die Bonzen und die Weiber rauslässt. Einige Ansichten, die er äußert, sind leider typisch für große Teile der tschechischen Bevölkerung. Auch für Angestellte, Manager oder Studenten. Und genau deshalb werde ich mit diesem Vandam nicht warm. Er führt mir das schonungslos vor Augen, was ich lieber nicht gesehen hätte: Das die Angst vor Fremden, Rassismus und Engstirnigkeit genauso zu „meinen“ Tschechen gehören wie die Lieder von Nohavica, die Bücher von Hrabal und der typisch tschechische Humor.
Mit genau diesem Humor erzählt Jaroslav Rudiš Vandams Geschichte, so dass ich darüber auch lachen kann. Über die Ratschläge, die Vandams Vater ihm fürs Leben hinterlässt; über den Brünner Touristen, den Vandam erst die Nase bricht und den er anschließend über das Leben belehrt; über den berühmten tschechischen Vierkampf aus Knödeln, Kraut, Schweinebraten und Bier oder über Vandams Tipps, wie man als Sieger aus einer Schlägerei hervorgeht.
Die Sätze fließen und entwickeln einen Sog, dem man sich kaum entziehen kann. Ich habe das Buch an einem Abend durchgelesen und hatte das Gefühl, ich hätte selbst in der Kneipe gesessen und Vandam beim Bafeln zugehört. So wie es Jaroslav Rudiš tatsächlich auch gemacht hat, denn Vandam ist keine Fiktion. Das Buch basiert auf einem Kneipengespräch mit dem Bruder eines Freundes von Rudiš. Der ließ es sich übrigens nicht nehmen, Bücher nach einer Lesung in Prag selbst zu signieren.
Das Buch “Nationalstraße” erinnert mich sehr an meinen Lieblingsschriftsteller Bohumil Hrabal. Der schnappte seine Geschichten oft auch in Kneipen auf und erzählte die kleinen und großen Katastrophen des Lebens so, dass einem die Tränen in die Augen stiegen und man doch gleichzeitig lachen musste. Das hat auch Jaroslav Rudiš mit diesem Buch geschafft und mich so ein wenig mit den für mich unlösbaren Widersprüchen versöhnt. Ich muss ja nicht immer wütend, traurig oder hilflos reagieren, wenn ich mich wieder einmal Horrornachrichten aus meinem Lieblingsland Tschechien erreichen. Manchmal sollte ich einfach gelassen bleiben und das Ganze mit dem typisch tschechischen Humor betrachten.
Das Buch „Nationalstraße“ von Jaroslav Rudiš ist im Luchterhand-Verlag erschienen (ISBN: 978-3-630-87442-5).